Die Rechtsprechung zu EU-Führerscheinen
Wenn in Deutschland die Fahrerlaubnis entzogen wird, dann bietet es sich an, im europäischen Ausland einen Führerschein zu erwerben. Denn nach Europarecht muß ein Führerschein aus dem EU-Ausland in jedem Mitgliedsstaat „ohne Formalität" anerkannt werden. Allerdings wollen deutsche Behörden das partout nicht wahrhaben. Deshalb haben sie mit viel Kreativität und Hartnäckigkeit immer wieder neue Argumente erfunden, um den sogenannten „Führerscheintourismus" einzudämmen. Das Ergebnis ist ein Katz-und-Maus-Spiel, dessen Ende noch nicht abzusehen ist. Um eine MPU herumzukommen, ist immer noch möglich - wenn man sich rechtzeitig beraten läßt.
Im folgenden gebe ich einen kleinen Überblick über die Rechtsprechung der letzten Jahre. Entscheidungen in Eilverfahren (zur vorläufigen Regelung für die Dauer des Prozesses) und in Strafverfahren sind besonders gekennzeichnet, weil sie mit anderen Urteilen nur bedingt vergleichbar sind. Ergänzungen, die in der wiedergegebenen Entscheidung selbst nicht enthalten sind, habe ich mit eckigen Klammern gekennzeichnet. Römische Ziffern bezeichnen Absätze; weitere Details zur juristischen Zitierweise finden Sie hier. Rechtsprechung zu anderen Themen finden Sie hier.
Zum Suchen benutzen Sie am besten die Suchfunktion Ihres Browser-Programms (Menü „Bearbeiten - Durchsuchen“ oder einfach Strg+F). Warum es auf dieser Seite nirgends einen Button "Zurück" oder "Zum Seitenanfang" gibt, und wie Sie trotzdem navigieren können, erfahren Sie hier.
Was Sie tun sollten, wenn Sie von der Polizei angehalten werden, erfahren Sie hier.
Ein im EU-Ausland ausgestellter Führerschein muß in jedem Mitgliedsstaat „ohne jede Formalität" anerkannt werden, auch wenn der Führerscheininhaber dort nicht seinen Wohnsitz hatte (Art. 1 II i.V.m. Art. 7 I lit. b, Art. 8 IV und Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG). Eine im Inland für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis verhängte Sperrfrist steht dem jedenfalls dann nicht entgegen, wenn sie abgelaufen war, als der ausländische Führerschein erteilt wurde.
Gericht: EuGH
Entscheidung: Urteil
Datum: 29.04.2004
Aktenzeichen: C-476/01 [Frank Kapper]
Fundstelle: NJW 2004, 1725
§ 28 IV Nr. 3 FeV ist wegen Verstoßes gegen EU-Recht nichtig, soweit er der Anerkennung eines im EU-Ausland erworbenen Führerscheins entgegensteht, wenn bei dessen Erwerb keine Sperrfrist (mehr) lief, eine Umgehung nicht in Betracht kommt [doppelt gemoppelt] und die Wiedererteilung einer inländischen Fahrerlaubnis allenfalls noch vom Bestehen einer Fahrprüfung abhängig gewesen wäre [dreifach gemoppelt].
Gericht: VG Karlsruhe
Entscheidung: Urteil
Datum: 18.08.2004
Aktenzeichen: 11 K 4476/03 [Frank Kapper]
Fundstelle: NJW 2005, 460
§ 28 FeV ist mit dem Europarecht vereinbar. Denn § 28 V FeV ist eine hinreichende Vorkehrung gegen die zeitlich unbegrenzte Nicht-Anerkennung einer ausländischen Fahrerlaubnis [die der EuGH als europarechtswidrig gebrandmarkt hat]. Die im EU-Ausland erworbene Fahrerlaubnis gilt in Deutschland nicht automatisch (und wer damit fährt, macht sich strafbar), nachdem im Inland eine Sperrfrist verhängt worden ist, selbst wenn diese bei Erwerb der ausländischen Fahrerlaubnis bereits abgelaufen war.
Gericht: VGH Baden-Württemberg (Mannheim)
Entscheidung: Urteil
Datum: 12.10.2004
Aktenzeichen: 10 S 1346/04
Fundstelle: BA 2005, 402 = VRS 2005, 141 = ZfS 2005, 212,
[Strafverfahren] Ein im EU-Ausland nach Ablauf einer inländischen Sperrfrist erworbener Führerschein berechtigt auch dann zur Führung eines Kraftfahrzeugs im Inland, wenn vor der Wiedererteilung der inländischen Fahrerlaubnis weitere Voraussetzungen wie etwa eine MPU erforderlich gewesen wären; allerdings kann die Fahrerlaubnisbehörde Eignungszweifel zum Anlaß nehmen, nach § 46 FeV vorzugehen und ggf. die im EU-Ausland erworbene Fahrerlaubnis zu entziehen.
Gericht: OLG Saarbrücken
Entscheidung: Beschluß
Datum: 04.11.2004
Aktenzeichen: Ss 16/04 (42/04)
Fundstelle: NStZ-RR 2005, 40
[Eilverfahren] Daß der Antragsteller zu einer MPU aufgefordert worden war und aus diesem Anlaß auf die Fahrerlaubnis verzichtet hatte, steht der Anerkennung einer später im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis nicht entgegen. Denn die Anwendung des § 28 V FeV hätte sonst eine zeitlich unbegrenzte Nicht-Anerkennung zur Folge. Das wäre jedoch unvereinbar mit der Rechtsprechung des EuGH: das Ergebnis einer ausländischen Fahreignungsprüfung ist hinzunehmen, sofern eine zuvor im Inland verhängte Sperrfrist abgelaufen ist. Erst recht muß eine ausländische Fahrerlaubnis dann anerkannt werden, wenn - wie in Fällen der Entziehung durch die Verwaltungsbehörde - keine Sperrfrist läuft.
Gericht: OVG Rheinland-Pfalz (Koblenz)
Entscheidung: Beschluß
Datum: 15.08.2005
Aktenzeichen: 7 B 11021/05
Fundstelle: NJW 2005, 3228
[Eilverfahren] Eine im EU-Ausland ausgestellte Fahrerlaubnis ist nicht anzuerkennen, wenn im Inland die Wiedererteilung einer entzogenen Fahrerlaubnis mehrfach erfolglos beantragt wurde, und wenn zweifelhaft ist, ob die Fahreignung von den ausländischen Behörden auch mit Hinblick auf eine bestehende Alkoholproblematik ausreichend gründlich geprüft worden ist (etwa weil ihnen die Problematik nicht bekannt war).
Gericht: VGH Baden-Württemberg (Mannheim)
Entscheidung: Beschluß
Datum: 19.09.2005
Aktenzeichen: 10 S 1194/03
Fundstelle: NJW 2006, 1153
[Eilverfahren] § 28 V FeV ist wegen Verstoßes gegen EU-Recht nichtig, soweit er der Anerkennung einer Fahrerlaubnis entgegensteht, die im EU-Ausland nach Ablauf einer inländischen Sperrfrist erworben wurde. Das gilt sogar dann, wenn der Erlaubnisinhaber damals im Inland wohnte. Aber die Fahrerlaubnisbehörde kann die im EU-Ausland erworbene Fahrerlaubnis gemäß § 46 FeV entziehen, wenn sich nach ihrer Erteilung Eignungsmängel zeigen.
Gericht: Niedersächsisches OVG Lüneburg
Entscheidung: Beschluß
Datum: 11.10.2005
Aktenzeichen: 12 ME 288/05
Fundstelle: NJW 2006, 1158
[Eilverfahren] EU-Fahrerlaubnisse sind dann nicht automatisch anzuerkennen, wenn vor ihrem Erwerb eine inländische Fahrerlaubnis wegen Eignungsmängeln entzogen worden ist, und wenn das nationale Recht deswegen besondere Anforderungen an die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis stellt (ähnlich OVG Lüneburg). Die "Kapper"-Entscheidung des EuGH steht dem nicht entgegen. Denn Eignungsmängel sind oft nicht zeitlich determiniert. Und die Besonderheiten bei gefahrenabwehrrechtlich relevanten Fahreignungsmängeln hat der EuGH nicht erörtert.
Gericht: OVG Nordrhein-Westfalen (Münster)
Entscheidung: Beschluß
Datum: 04.11.2005
Aktenzeichen: 16 B 736/05
Fundstelle: BA 2006, 507
Ist eine Fahrerlaubnis im Inland entzogen oder bestandskräftig versagt worden, so darf von einer im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis gleich welcher Fahrerlaubnisklasse kein Gebrauch gemacht werden. Das ergibt sich aus § 28 IV Nr. 3 FeV. Umgekehrt gilt eine Gestattung nach § 28 V FeV ohne weiteres für Erlaubnisse aller Klassen.
Gericht: BVerwG
Entscheidung: Urteil
vDatum: 17.11.2005
Aktenzeichen: 3 C 54/04
Fundstelle: NJW 2006, 1151
[Eilverfahren] Eine im EU-Ausland ausgestellte Fahrerlaubnis ist nicht anzuerkennen, wenn die den Entzug rechtfertigende Alkoholproblematik über den Zeitpunkt des Erwerbs der ausländischen Fahrerlaubnis hinaus fortdauert (im Anschluß an OVG Münster).
Gericht: Hessischer VGH (Kassel)
Entscheidung: Beschluß
Datum: 16.12.2005
Aktenzeichen: 2 TG 2511/05
Fundstelle: DAR 2006, 345
Eine im EU-Ausland erworbene Fahrerlaubnis muß anerkannt werden, wenn im Inland keine Sperrfrist lief, als sie erworben wurde. Die Richtlinie 91/439/EWG verbietet es, die Anerkennung an Bedingungen zu knüpfen, die nach den nationalen Rechtsvorschriften für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug einer früheren Fahrerlaubnis vorliegen müssen.
Gericht: EuGH
Entscheidung: Beschluß
Datum: 06.04.2006
Aktenzeichen: C-227/05 [Halbritter]
Fundstelle: NJW 2006, 2173
[Eilverfahren] Eine im EU-Ausland erworbene Fahrerlaubnis ist nicht anzuerkennen, wenn sie rechtsmißbräuchlich erworben wurde. Dazu reicht es zwar nicht aus, wenn man bei Erwerb der ausländischen Fahrerlaubnis im Inland wohnt. Wohl aber spricht es für Mißbrauch, wenn die Inanspruchnahme einer der europarechtlichen Grundfreiheiten [Niederlassungsfreiheit o.ä.] nicht feststellbar ist. Das gilt zumindest dann, wenn zweifelhaft ist, ob die Fahreignung von den ausländischen Behörden auch mit Hinblick auf eine bestehende Alkoholproblematik ausreichend gründlich geprüft worden ist (etwa weil ihnen die Problematik nicht bekannt war).
Gericht: VGH Baden-Württemberg (Mannheim)
Entscheidung: Beschluß
Datum: 21.07.2006
Aktenzeichen: 10 S 1337/06
Fundstelle: NJW 2007, 99
[Eilverfahren] Eine im EU-Ausland ausgestellte Fahrerlaubnis ist nicht anzuerkennen, wenn zweifelhaft ist, ob die Fahreignung von den ausländischen Behörden auch mit Hinblick auf eine bestehende Alkoholproblematik ausreichend gründlich geprüft worden ist, etwa weil ihnen die Problematik nicht bekannt war [ohne nähere Argumente].
Gericht: Hessischer VGH (Kassel)
Entscheidung: Beschluß
Datum: 03.08.2006
Aktenzeichen: 2 TG 673/06
Fundstelle: NJW 2007, 102
[Eilverfahren] Eine im EU-Ausland erworbene Fahrerlaubnis ist nur bei Rechtsmißbrauch ausnahmsweise nicht anzuerkennen. Die Annahme eines Rechtsmißbrauchs setzt greifbare tatsächliche, objektive Anhaltspunkte dafür voraus, daß die Fahrerlaubnis im EU-Ausland erworben wurde, um die nationalen Bestimmungen für die Wiedererteilung einer zuvor entzogenen Fahrerlaubnis zu umgehen. Von einem Rechtsmißbrauch kann dann ausgegangen werden, wenn positiv feststeht, also nicht lediglich eine Vermutung oder gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß der Fahrerlaubnisinhaber die Behörden des ausstellenden Mitgliedstaates über relevante Umstände hinsichtlich seiner Fahreignung getäuscht hat, und daß auch keine Inanspruchnahme einer der europarechtlichen Grundfreiheiten [Niederlassungsfreiheit o.ä.] vorliegt.
Gericht: OVG Mecklenburg-Vorpommern (Greifswald)
Entscheidung: Beschluß
Datum: 29.08.2006
Aktenzeichen: 1 M 46/06
Fundstelle: NJW 2007, 1154
[Eilverfahren] Eine im EU-Ausland erworbene Fahrerlaubnis ist bei Rechtsmißbrauch nicht anzuerkennen. Von einem Rechtsmißbrauch kann dann ausgegangen werden, wenn nicht ersichtlich ist [!], daß die ausländische Behörde die Mindestanforderungen an die Fahreignung gemäß Art. 7 I lit. a) der Richtlinie 91/439/EWG geprüft hat, und wenn keine Inanspruchnahme einer der europarechtlichen Grundfreiheiten [Niederlassungsfreiheit o.ä.] vorliegt. Das gilt zumindest dann, wenn der Erlaubnisinhaber sich im Inland mehrfach erfolglos um die Wiedererteilung seiner Fahrerlaubnis bemüht hat und das als ungerecht empfindet.
Gericht: OVG Berlin-Brandenburg
Entscheidung: Beschluß
Datum: 08.09.2006
Aktenzeichen: 1 S 122.05
Anmerkung: typisch Preußen - der Obrigkeitsstaat hat immer Recht... Anders beim EuGH.
Die Richtlinie 91/439/EWG verlangt die Anerkennung einer im Ausland erworbenen Fahrerlaubnis ohne (erneute) Untersuchung der Fahreignung. Das gilt nicht nur dann, wenn dem Inhaber zuvor im Inland die Fahrerlaubnis entzogen worden, eine für die Neuerteilung verhängte Sperrfrist jedoch abgelaufen ist, sondern erst recht dann, wenn mit der Entziehung eine Sperrfrist gar nicht verbunden war.
Gericht: EuGH
Entscheidung: Beschluß
Datum: 28.09.2006
Aktenzeichen: C-340/05 [Kremer]
Fundstelle: NJW 2007, 1863
[Eilverfahren] Ein Mißbrauch (mit der Folge, daß der EU-Führerschein nicht anerkannt werden müßte) liegt nicht schon dann vor, wenn der Erlaubinsinhaber sich die unterschiedlichen Ausstellungsbedingungen in verschiedenen Mitgliedstaaten zunutze gemacht hat, oder wenn zweifelhaft ist, ob er im EU-Ausland wirklich gewohnt hat ("Wohnsitzerfordernis"). Für die Prüfung, ob das Wohnsitzerfordernis erfüllt ist, ist ausschließlich der Staat zuständig, der die Erlaubnis erteilt. Die „Halbritter"-Rechtsprechung des EuGH gilt nicht nur für Fälle der Anerkennung/Umschreibung einer ausländischen Fahrerlaubnis, sondern auch für Fälle der Entziehung/Aberkennung des Rechts, von ihr im Inland Gebrauch zu machen [entgegen OVG Münster]. Die Entziehung einer Fahrerlaubnis wegen Vorfällen vor ihrer Erteilung liegt allein in der Kompetenz des Ausstellungsstaats, sofern eine etwa verhängten Sperrfrist abgelaufen ist.
Eine in der Vergangenheit erwiesene Alkoholproblematik ist kein in diesem Sinne gegenwärtiges, weil bis in die Gegenwart fortwirkendes (Dauer-)Ereignis [entgegen OVG Lüneburg].
Gericht: OVG Hamburg
Entscheidung: Beschluß
Datum: 22.11.2006
Aktenzeichen: 3 Bs 257/06
Fundstelle: NJW 2007, 1160
[Strafverfahren] Wer nach Ablauf einer Sperrfrist im Inland ein Kraftfahrzeug führt, und dabei Inhaber einer im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis ist, der macht sich auch dann nicht strafbar, wenn bei Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis die Sperrfrist noch nicht abgelaufen war.
Gericht: OLG München
Entscheidung: Urteil
Datum: 29.01.2007
Aktenzeichen: 4 St RR 222/06
Fundstelle: NJW 2007, 1152
Anmerkung: entgegengesetzt noch VGH Mannheim
[Eilverfahren] Trotz der „Kremer"-Entscheidung des EuGH ist offen, ob die (noch nicht anwendbare) Richtlinie 2006/126/EG mit ihrer ratio, aus Gründen der Verkehrssicherheit den Führerschein-Tourismus wirksam zu bekämpfen, die Auslegung und Anwendung der Richtlinie 91/439/EWG dahingehend beeinflußt, daß eine ausländische Fahrerlaubnis nicht anerkannt werden muß, wenn diese nur erworben wurde, um den Entzug der Fahrerlaubnis im Inland zu unterlaufen [ohne Eingehen auf die näheren Voraussetzungen].
Gericht: Hessischer VGH (Kassel)
Entscheidung: Beschluß
Datum: 19.02.2007
Aktenzeichen: 2 TG 13/07
Fundstelle: NJW 2007, 1897
[Eilverfahren] Art. 11 II der Richtline 2006/126/EG verleiht den inländischen Fahrerlaubnisbehörden keine weitergehenden Befugnisse als die (weiterhin anwendbar bleibende) Vorgängerregelung des Art. 8 II der Richtlinie 91/439/EWG.
Art. 11 IV Satz 2 der Richtline 2006/126/EG ist nach Art. 18 Satz 2 dieser Richtline erst ab dem 19.02.2009 anwendbar.
Gericht: Bayerischer VGH (München)
Entscheidung: Beschluß
Datum: 22.02.2007
Aktenzeichen: 11 CS 06.1644
Fundstelle: DAR 2007, 535
[Eilverfahren] Ein im EU-Ausland erworbener Führerschein ist ausnahmsweise nicht anzuerkennen bei Rechtsmißbrauch. Anhaltspunkte dafür sieht der Senat darin, daß der Antragsteller zunächst im Inland erfolglos versucht hatte, wieder eine Fahrerlaubnis zu erlangen, und sich dann an die Behörden eines anderen Mitgliedstaats gewandt hat, obwohl er weiterhin ausschließlich in Deutschland wohnte, wobei die Inanspruchnahme irgendeiner europarechtlich geschützten Grundfreiheit [Niederlassungsfreiheit o.ä.] weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, und daß außerdem „in Rede steht" [!], dass der Inhaber möglicherweise [!] gegenüber der ausländischen Fahrerlaubnisbehörde unvollständige oder falsche Angaben gemacht hat.
Gericht: Thüringer OVG (Weimar)
Entscheidung: Beschluß
Datum: 27.04.2007
Aktenzeichen: 2 EO 485/06
Anmerkung: Eine Schande, daß vor Gericht Dinge eine Rolle spielen, die erklärtermaßen nur "möglicherweise ... in Rede stehen"!
[Eilverfahren] Ein im EU-Ausland erworbener Führerschein ist nicht anzuerkennen bei Rechtsmißbrauch. Davon ist auszugehen, wenn ihm im Inland keine Fahrerlaubnis erteilt worden wäre, und wenn auch keine Inanspruchnahme einer der europarechtlichen Grundfreiheiten [Niederlassungsfreiheit o.ä.] vorliegt. Letzteres ist der Fall, wenn nicht ersichtlich ist, daß der Erwerber neben der Führerscheinerlangung noch weitere Gründe dafür hatte, sich gerade an die ausländischen Behörden zu wenden, die durch die Anerkennung der Fahrerlaubnis gefördert werden könnten.
Gericht: OVG Rheinland-Pfalz (Koblenz)
Entscheidung: Beschluß
Datum: 21.06.2007
Aktenzeichen: 10 B 1029/07
Fundstelle: NJW 2007, 2650
Anmerkung: Aus dem tschechischen Führerschein ergab sich dummerweise ein Wohnsitz in Deutschland...
Der im EU-Ausland außerhalb einer Sperrfrist erworbene Führerschein ist anzuerkennen, auch ohne daß der Inhaber die Bedingungen erfüllt, die nach den nationalen Rechtsvorschriften für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis erfüllt sein müssen [so bereits der Beschluß vom 06.04.2006]. Ein solcher Führerschein muß jedoch dann nicht anerkannt werden, wenn er während einer inländischen Sperrfrist erworben wurde, oder wenn aufgrund von Angaben im Führerschein selbst oder aufgrund anderer, vom Ausstellerstaat herrührender unbestreitbarer Informationen feststeht, daß der Inhaber bei Erwerb dieses Führerscheins seinen Wohnsitz nicht im Ausstellerstaat hatte.
Gericht: EuGH
Entscheidung: Urteil
Datum: 26.06.2008
Aktenzeichen: C-329/06 [Wiedemann u. Funk] & C-343/06
Fundstelle: NJW 2008, 2403
Der im EU-Ausland erworbene Führerschein muß nicht anerkannt werden, wenn er während einer inländischen Sperrfrist ausgestellt wurde. Ob die Sperrfrist noch läuft, wenn von dem Führerschein erstmals im Inland Gebrauch gemacht wird, spielt keine Rolle.
Gericht: EuGH
Entscheidung: Beschluß
Datum: 03.07.2008
Aktenzeichen: C-225/07 [Möginger]
Fundstelle: NJW 2009, 207
Anmerkung: ähnlich schon (obiter dictum): Beschluß vom 26.06.2008
Grundsätzlich dürfen Maßnahmen gegen den Inhaber einer im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis nur auf sein Verhalten nach deren Erwerb gestützt werden [so bereits der Beschluß vom 26.06.2008]. Aber eine im EU-Ausland erworbene Fahrerlaubnis braucht außerdem auch dann nicht anerkannt zu werden, wenn nach ihrem Erwerb dem Betreffenden die Fahrerlaubnis im Inland entzogen wird, sofern dies im Anschluß an eine befristete Aussetzung der Erlaubnis (Fahrverbot) und wegen einer Tat geschieht, die vor dem Erwerb der ausländischen Erlaubnis begangen wurde.
Gericht: EuGH
Entscheidung: Urteil
Datum: 20.11.2008
Aktenzeichen: C-1/07 [Weber]
Fundstelle: NJW 2008, 3767
Dem Inhaber eines Führerscheins, der in einem anderen EU-Mitgliedstaat nach einer Fahrerlaubnisentziehung in Deutschland erworben wurde, kann bei weiterhin fehlender Fahreignung das Recht aberkannt werden, davon in Deutschland Gebrauch zu machen, wenn aufgrund der Angaben in diesem Führerschein feststeht, daß sein Inhaber zum Zeitpunkt der Ausstellung seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Ausstellerstaat hatte.
Gericht: BVerwG
Entscheidung: Urteil
Datum: 11.12.2008
Aktenzeichen: 3 C 26.07 und 3 C 38.07
Fundstelle: lexetius.com
[Eilverfahren] Auf eine EU- oder EWR-Fahrerlaubnis ist § 28 Abs. 4 Nr. 2 und Nr. 3 FeV nicht anwendbar - eine solche Fahrerlaubnis ist in Deutschland gültig, auch wenn der Inhaber bei ihrer Erteilung seinen Wohnsitz im Inland hatte, oder wenn ihm zuvor eine Fahrerlaubnis im Inland entzogen worden ist. Nur wenn aufgrund von Äußerungen, die dem Fahrerlaubnisinhaber zurechenbar sind, oder aufgrund von Angaben im ausländischen Führerschein feststeht, daß der Inhaber seinen Wohnsitz zum Zeitpunkt der Ausstellung in Deutschland hatte, können ihm deutsche Behörden die Fahrerlaubnis entziehen, sofern Fahreignungsmängel (noch) bestehen.
Gericht: OVG Nordrhein-Westfalen (Münster)
Entscheidung: Beschluß
Datum: 12.01.2009
Aktenzeichen: 16 B 1610/08
Fundstelle: strafrecht-online.de
Die Erkenntnisquellen, aufgrund derer die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins abgelehnt werden darf, sind in dem Beschluß vom 26.06.2008 (Wiedemann u. Funk) abschließend aufgezählt: "vom Ausstellermitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen." Deshalb darf die Nichterfüllung des Wohnsitzerfordernisses [zum Begriff siehe hier] weder aus eigenen Erklärungen des Erlaubnisinhabers im Verwaltungsverfahren geschlußfolgert werden, noch aus einer Erklärung des Ausstellermitgliedstaats, wonach der Wohnsitz bei Ausstellung des Führerscheins nicht geprüft worden ist.
Gericht: EuGH
Entscheidung: Beschluß
Datum: 09.07.2009
Aktenzeichen: C-445/08 [Kurt Wierer]
Fundstelle: NJW 2010, 217
Die Anerkennung des einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins darf nicht aufgrund eines Fahreignungsgutachtens [in Deutschland: MPU] abgelehnt werden, wenn dieses Gutachten zwar nach dem Zeitpunkt der Ausstellung des ausländischen Führerscheins erstellt wurde, sich aber ausschließlich auf vor diesem Zeitpunkt liegende Umstände bezieht.
Gericht: EuGH
Entscheidung: Beschluß
Datum: 02.12.2010
Aktenzeichen: C-334/09 [Frank Scheffler]
Fundstelle: NJW 2011, 587
Wenn eine unter Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis [zum Begriff siehe hier] im EU-Ausland erteilte Fahrerlaubnis im EU-Ausland auf eine zusätzliche Klasse erweitert wird, so verstößt es nicht gegen EU-Recht, wenn die Erlaubnis im Inland hinsichtlich dieser zusätzlichen Klasse nicht anerkannt wird, obwohl das Verfahren bei der Erweiterung an sich korrekt war [ob die Nichtanerkennung aber nach Deutschem Recht überhaupt möglich ist, ist noch ungeklärt].
Gericht: EuGH
Entscheidung: Urteil
Datum: 13.10.2011
Aktenzeichen: C-224/10 [Leo Apelt]
Fundstelle: NJW 2012, 369
Als Grund für die Weigerung, einen im EU-Ausland erworbenen Führerschein anzuerkennen, genügt es nicht, daß der Betroffene zuvor im Inland erfolglos versucht hatte, eine Fahrerlaubnis zu erwerben, die ihm jedoch versagt wurde [keine analoge Anwendung der Ausnahme für Fälle der Entziehung einer Fahrerlaubnis]. Ein Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis [zum Begriff siehe hier] liegt nicht schon dann vor, wenn ein Unionsbürger seinen Wohnsitz deshalb in einen anderen EU-Mitgliedsstaat verlegt, weil er ausnutzen will, daß die dortigen Vorschriften über die Erteilung von Führerscheinen weniger streng sind, sondern nur dann, wenn er sich dort in Wahrheit nur kurz aufhält und die Wohnsitzverlegung rein fiktiv ist.
Gericht: EuGH
Entscheidung: Urteil
Datum: 01.03.2012
Aktenzeichen: C-467/10 [Baris Akyüz]
Fundstelle: NJW 2012, 1341
Einem im EU-Ausland erworbenen Führerschein darf die Anerkennung nicht deshalb versagt werden, weil im Inland eine Fahrerlaubnis entzogen und für die Neuerteilung eine Sperrfrist verhängt worden war, wenn bei Erwerb des ausländischen Führerscheins die Sperrfrist abgelaufen und das Wohnsitzerfordernis [zum Begriff siehe hier] erfüllt war.
Gericht: EuGH
Entscheidung: Urteil
Datum: 26.04.2012
Aktenzeichen: C-419/10 [Hofmann]
Fundstelle: NJW 2012, 1935
[Eilverfahren] Soweit § 28 Abs. 4 Nr. 2 und Nr. 3 FeV es den inländischen Behörden ermöglicht, die Anerkennung eines EU-Führerscheins zu verweigern, obwohl ein Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis [zum Begriff siehe hier] nicht vorliegt, ist er wegen Verstoßes gegen die Richtline 2006/126/EG unwirksam (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung aufgrund des EuGH-Urteils vom 26.04.2012).
Gericht: VGH Baden-Württemberg
Entscheidung: Beschluß
Datum: 21.06.2012
Aktenzeichen: 10 S 968/12
Fundstelle: NJW 2012, 3194
LITERATUR:
Hailbronner, NJW 2007, 1089 (Überblick)
Dauer, NJW 2008, 2381 (Überblick)
Mosbacher/Gräfe, NJW 2009, 801: Die Neufassung von § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 und 4 FeV setzt die Rechtsprechung des EuGH um und ist europarechtskonform, strafrechtlich allerdings teilweise wohl zu unbestimmt ("unbestreitbare Informationen"). Mit Inkrafttreten von Art. 11 der 3. EU-Führerschein-Richtlinie zum 19.01.2009 muß jeder EU-Mitgliedsstaat die Erteilung eines Führerscheins an Personen ablehnen, deren Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedsstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist. Eine gleichwohl erteilte Fahrerlaubnis darf nicht anerkannt werden (wenn die Erteilung nach dem 19.01.2009 lag). Die Frage der Prüfungskompetenz nationaler Behörden stellt sich damit nicht mehr, und die bisherige Rechtsprechung des EuGH zur einschränkenden Auslegung von Art. 8 Abs. 4 der 2. EG-Führerschein-Richtlinie [Ausnahmevorschrift, daher keine Aberkennung eines Führerscheins, der im EU-Ausland erworben wird, nachdem die inländische Sperrfrist abgelaufen ist] ist gegenstandslos geworden.
Warum es auf dieser Seite nirgends einen Button "Zurück" oder "Zum Seitenanfang" gibt, und wie Sie trotzdem navigieren können, erfahren Sie hier.
Jochim C. Schiller